Tollwut

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Tollwut ist eine seit Jahrtausenden bekannte Virusinfektion, die bei Tieren und Menschen eine akute lebensbedrohliche Encephalitis (Gehirnentzündung) verursacht. Synonyme sind die Begriffe Lyssa, Rabies und Rage. Früher benutzte man auch das Synonym Hydrophobie (Wasserfurcht).

Das Virus kann die meisten Arten warmblütiger Tiere betreffen, ist aber unter Nicht-Fleischfressern selten. Das stereotypische Bild eines angesteckten („tollwütigen“) Tieres ist der „verrückte Hund“ mit Schaum vor dem Mund, aber auch Katzen, Frettchen, Füchse, Dachse, Waschbären, Backenhörnchen, Stinktiere und die Fledertiere - Vampire-Fledermaus (Desmodus rotundus bzw. Desmodus spec.); bei insektenfressenden Fledertieren meist Fledermäuse (Microchiroptera) und fruchtfressenden Fledertieren meist Flughunde (Megachiroptera sehr selten) - können tollwütig werden beziehungsweise die klassische Tollwut oder eine andere Form übertragen. Hauptüberträger ist der Fuchs. Eichhörnchen, andere Nagetiere und Kaninchen werden sehr selten angesteckt. Vögel bekommen sehr selten Tollwut, da ihre Körpertemperatur höher liegt als es für eine optimale Vermehrung des Virus notwendig ist. Tollwut kann sich auch in einer so genannten „paralytischen“ Form zeigen, bei welcher sich das angesteckte Tier unnatürlich ruhig und zurückgezogen verhält.

Zwischen 40 000 und 70 000 Menschen sterben jährlich an Tollwut, die meisten in Osteuropa, Asien (um 80 %) und Afrika, wo Tollwut endemisch ist. Die Hälfte der Todesfälle weltweit betrifft Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Ungefähr 10 Millionen Menschen werden jährlich behandelt nach einem Verdacht, sich der Tollwut ausgesetzt zu haben.

Erreger:

Die verschieden ausgeprägte Tollwut wird durch zylindrisch geformte, behüllte Einzel(-)-Strang-RNA-Viren, (ss(-)RNA), der Gattung Lyssaviren aus der Familie der Rhabdoviridae verursacht. Bei all diesen Erregern werden derzeit insgesamt sieben Genotypen unterschieden:

  • Genotyp 1: Rabiesvirus (RABV) = Tollwutvirus Dieses Virus ist das klassische Tollwutvirus.
  • Genotyp 2: Lagos-Fledermausvirus = Lagos bat virus (LBV)
  • Genotyp 3: Mokola-Virus (MOKV)
  • Genotyp 4: Duvenhage-Virus (DUVV)
  • Genotypen 5 und 6: Europäisches Fledermaus-Lyssavirus = European bat lyssavirus (EBLV 1, 2)
  • Genotyp 7: Australisches Fledermaus-Lyssavirus = Australian bat lyssavirus (ABLV)

Diese Viren haben üblicherweise entweder eine spiralenförmige oder kubische Symmetrie. Dabei haben Lyssaviren eine spiralenförmige Symmetrie, d. h. ihre ansteckenden Partikel haben ungefähr zylindrische Gestalt. Dies ist eigentlich für Viren typisch, die Pflanzen befallen. Menschen befallende Viren haben im Allgemeinen eher Kubiksymmetrie und nehmen Gestalten an, die regelmäßigen Polyedern nahe kommen.

Ausgenommen Genotyp 2 sind bei allen anderen oben aufgezählten Genotypen Tollwutfälle beim Menschen beschrieben.

Alle bekannten Tollwutviren werden durch Trockenheit, Sonnenlicht und bestimmte Desinfektionsmittel sehr schnell inaktiviert

Übertragung

Das Virus ist im Speichel eines tollwütigen Tieres vorhanden und der Infektionsweg führt fast immer über einen Biss. Aber auch kleinste Verletzungen der Haut und Schleimhäute können das Eindringen des Virus per Schmierinfektion bzw. Kontaktinfektion ermöglichen. In vitro ist eine Übertragung durch Schleimhäute vorgekommen. Möglicherweise geschah eine Übertragung in dieser Form bei Menschen, die von Fledermäusen bevölkerte Höhlen erforschten. Außer bei der Organtransplantation (drei Fälle in den USA zu Beginn des Jahres 2004 und drei Fälle in Deutschland Anfang 2005), ist die Übertragung von einer Person zur anderen bislang nicht beobachtet worden.

Krankheitsverlauf beim Tier

An Tollwut können alle Säugetiere und bedingt auch Vögel erkranken. Die Inkubationszeit beträgt im Regelfall 2 bis 8 Wochen. Die Krankheit dauert zwischen einem Tag und einer Woche und endet praktisch immer tödlich. Die Krankheit beginnt häufig mit Wesensveränderungen.

Erkrankte Haushunde können dabei besonders aggressiv und bissig werden, sind übererregt, zeigen einen gesteigerten Geschlechtstrieb und bellen unmotiviert („rasende Wut“). Später stellen sich Lähmungen ein, die zu heiserem Bellen, Schluckstörungen (starkes Speicheln, Schaum vor dem Maul), Heraushängen der Zunge führen und infolge Lähmung der Hinterbeine kommt es zum Festliegen. Die Phase der „rasenden Wut“ kann auch fehlen und die Tollwut gleich mit dem Lähmungserscheinungen beginnen („stille Wut“). Es kommen auch atypische Verläufe vor, die zunächst einer Magen-Darm-Kanal- Entzündung (Gastroenteritis) gleichen.

Bei der Hauskatze gleicht das klinische Bild dem des Hundes. Häufig zieht sich eine erkrankte Katze zurück, miaut ständig und reagiert aggressiv auf Reizungen. Im Endstadium kommt es zu Lähmungen.

Beim Hausrind zeigt sich eine Tollwut zumeist zunächst in Verdauungsstörungen, es kommt zu einer Atonie und Aufgasung des Pansens und Durchfall. Insbesondere bei Weidehaltung muss die Tollwut immer als mögliche Ursache für Verdauungsstörungen in Betracht gezogen werden. Später stellen sich Muskelzuckungen, Speicheln, ständiges Brüllen und Lähmungen der Hinterbeine ein. Bei kleinen Wiederkäuern wie Schafen und Ziegen dominiert die „stille Wut“, es können aber auch Unruhe, ständiges Blöken und ein gesteigerter Geschlechtstrieb auftreten.

Beim Hauspferd kann die Tollwut als „rasende Wut“ mit Rennen gegen Stallwände und Koliken oder als „stille Wut“ mit Apathie auftreten. Die „stille Wut“ kann mit einer Bornaschen Krankheit verwechselt werden.

Beim Hausschwein dominieren Aufregung, andauerndes heiseres Grunzen, Zwangsbewegungen und Beißwut.

Bei Vögeln ist die Krankheit sehr selten und äußert sich in ängstlichem Piepen, Bewegungsstörungen und Lähmungen.

Bei Wildtieren führt eine Tollwut häufig zum Verlust der natürlichen Scheu vor dem Menschen. Im Endstadium kommt es zu Lähmungen der Hinterbeine

Therapie:

Es gibt kein bekanntes Heilmittel gegen Tollwut. Nach einer Infektion und Überschreitung der Frist für eine Postexpositionelle Prophylaxe wurde in letzter Zeit eine Behandlung mit antiviralen Medikamenten, Virustatika, und zeitgleichem künstlichem Koma zur Stoffwechselreduzierung versucht. Diese Therapieversuche waren jedoch bisher nicht erfolgreich, da nur einige wenige Patienten eine solche Behandlung mit schwersten Gehirnschäden überlebten. Als erster Mensch, der eine solche experimentelle Therapie nach einer Infektion weitestgehend ohne schwerwiegende Folgeschäden überstanden hat, gilt die US-Amerikanerin Jeanna Giese. Am 12. Mai 2006 starb ein Jugendlicher in Houston, Texas, an Tollwut als Folge eines Fledermausbisses, obwohl diese experimentelle Therapie angewendet wurde.

Vorbeugung:

Die Erkrankung kann jedoch durch rechtzeitige Impfung verhindert werden. Die Tollwut verdammte ursprünglich jeden, der daran erkrankte, zum Tode, bis Louis Pasteur 1885 die erste Tollwut-Impfung entwickelte und gebrauchte, um das Leben von Joseph Meister zu retten, der von einem tollwütigen Hund gebissen worden war. Heutige Impfstoffe sind relativ schmerzlos und werden in den Arm, ähnlich wie eine Grippe- oder Wundstarrkrampf-Impfung verabreicht. Sie bestehen aus inaktivierten Viren, welche in menschlichen (humanen) diploiden Zelllinien oder Hühnerfibroblasten angezüchtet werden.

Eine Impfung kann auch Stunden nach einem Biss noch erfolgreich sein. Für eine nachträgliche Impfung bleibt mehr Zeit, wenn die Wunde relativ weit vom Kopf entfernt ist und durch den Biss keine venösen Blutgefäße verletzt worden sind. Das Robert-Koch-Institut gibt folgende Richtlinie für die postexpositionelle Impfung vor:

Grad der Expo sition

Art der Exposition

Immunprophylaxe

 

durch ein tollwutverdächtiges oder tollwütiges Wild- oder Haustier

durch einen Tollwut-Impfstoffköder

 

I

Berühren / Füttern von Tieren, Belecken der intakten Haut

Berühren von Impfstoffködern bei intakter Haut

keine Impfung

II

Knabbern an der unbedeckten Haut, oberflächliche, nicht blutende Kratzer durch ein Tier, Belecken der nicht intakten Haut

Kontakt mit der Impfflüssigkeit eines beschädigten Impfstoffköders mit nicht intakter Haut

Impfung

III

Jegliche Bissverletzung oder Kratzwunden, Kontamination von Schleimhäuten mit Speichel (z. B. durch Lecken, Spritzer)

Kontamination von Schleimhäuten und frischen Hautverletzungen mit der Impfflüssigkeit eines beschädigten Impfstoffköders

Impfung und einmalig simultan mit der ersten Impfung passive Immunisierung mit Tollwut-Immunglobulin (20 IE/kg Körpergewicht)

Es sollte versucht werden, das tollwutverdächtige Tier zu fangen und zu isolieren (nicht töten!), da es in Quarantäne verbracht unter veterinärmedizinischer Kontrolle beobachtet werden kann. Tritt nach 10 bis 14 Tagen keine Tollwut auf, war das Tier nicht ansteckend (kontagiös). Falls das Tier erkrankt, kann eine Virusdiagnostik durchgeführt werden. Bei der infizierten Person kann erst nach Ausbruch der Krankheit eine Diagnose gestellt werden.

Bei der vorbeugenden Impfung gegen Tollwut handelt es sich um einen Totimpfstoff, der meist aus inaktivierten Tollwutviren, welche die Krankheit nicht mehr auslösen können, besteht. Diese aktive Impfung wird in mehreren Dosen im Abstand von einigen Tagen bis Wochen in den Oberarm injiziert. Der genaue Impfplan ist präparatabhängig. Der Körper bildet nach der Injektion Antikörper gegen die Viren. Die Impfung muss ein Jahr nach dem ersten Impfzyklus einmal wiederholt und danach alle 5 Jahre aufgefrischt werden.

Bei einer Verletzung durch ein tollwutverdächtiges Tier wird zunächst eine passive Immunisierung mit fertigen Antikörpern gespritzt. Gleichzeitig wird mit der aktiven Impfung begonnen. Außerdem muss der Tetanus - Schutz kontrolliert werden. Hilfreich ist auch ein gründliches Waschen der Wunde mit Wasser und Seife, um so viel infektiöses Material wie möglich zu entfernen.

Mythos und Geschichte:

In früheren Zeiten war die Tollwut von Mythen, Aberglauben und Irrtümern umgeben und schürte, da die Krankheit fast unweigerlich zum Tod führte, die Ängste und die Phantasien der Menschen. Auch dass die Tollwut vermeintlich durch Wölfe übertragen wurde, trug zur Legendenbildung bei, der Ursprung des Werwolfsglaubens z. B. wurzelt in der Tollwuterkrankung der Menschen. Bereits in der Antike befassten sich Aristoteles und Euripides mit der Krankheit, in der griechischen Götterwelt waren Artemis, Hekate, Aktaion und Lykaon Verkünder, Verbreiter oder Opfer der Tollwut. Sirius, Hauptstern im Sternbild des Großen Hundes, verdankt seinen Namen der Legende, Wegbereiter der Seuche zu sein, im Hochsommer – an den Hundstagen (an denen Sirius in Sonnennähe steht; man nahm früher an, Sonne und Sirius würden in dieser Zeit zusammenwirken) – wurden Hunde, die man mit der Verbreitung der Tollwut in Verbindung brachte, malträtiert und geopfert. Im Mittelalter wurde, ausgehend von Augustinus, der Ursprung der Tollwut beim Teufel gesucht, der heilige Hubertus gilt seit dieser Zeit als Schutzpatron gegen die Tollwut.

Verbreitung und Bekämpfung

Das Tollwut - Virus überlebt in weiträumigen, abwechslungsreichen, ländlichen Tierwelt - Reservoiren. Die obligatorische Impfung von Tieren ist in ländlichen Gebieten weniger wirksam. Besonders in Entwicklungsländern ist es möglich, dass Tiere nicht in Privatbesitz sind; ihre Tötung kann unakzeptabel sein. Schluck - Impfstoffe können in Ködern sicher verteilt werden, und genau dies hat Tollwut in ländlichen Gebieten Frankreichs, Ontarios, Texas, Floridas und anderswo erfolgreich zusammenschrumpfen lassen. Impfkampagnen können jedoch teuer sein, und eine Kosten-Nutzen-Analyse kann die Verantwortlichen dazu bringen, sich für Bestimmungen zur bloßen Eindämmung, statt zur völligen Beseitigung der Krankheit zu entscheiden.

Um die Verbreitung der Krankheit zu bekämpfen, besteht für den grenzüberschreitenden Reiseverkehr mit kleinen Haus- und Heimtieren (Hunde, Katzen, Frettchen) schon seit Langem eine allgemeine Impfpflicht gegen Tollwut. Die von Land zu Land sehr unterschiedlichen zusätzlichen Bestimmungen werden für die Verbringung von Tieren innerhalb der Europäischen Union mit der Einführung des EU-Heimtierausweises ab dem 4. Oktober 2004 vereinheitlicht.

Tollwut ist in vielen Teilen der Welt endemisch, und einer der Gründe für Quarantänezeiten im internationalen Tiertransport war der Versuch, die Krankheit aus unverseuchten Gebieten fernzuhalten. Inzwischen erlauben jedoch viele Industriestaaten, allen voran Schweden, Haustieren unbeschwertes Reisen zwischen den Territorien, sofern die Tiere durch eine entsprechende Abwehrreaktion vorweisen können, gegen Tollwut geimpft worden zu sein.

Quellen